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Donnerstag, 31. Januar 2013

„Sind wir noch Menschen?“ Zeitzeugen führen junge Journalisten durch Auschwitz-Birkenau



Ein Artikel von Hannah Hufnagel ist am 25. Januar 2013 in der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA) erschienen.






Auschwitz (KNA) „Ihr müsst euch vorstellen, das Lager sah nicht so aus wie jetzt.“ Vom Wachturm des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau weist Zdzislawa Wlodarczyk über Baracken und Gleisanlagen. 20 Nachwuchsjournalisten aus Deutschland und Osteuropa lauschen fast atemlos dem Bericht der 78-Jährigen. „Wir gingen im Schlamm und es gab kein Trinkwasser. Dazu Ratten und Ungeziefer, Flöhe und alles Mögliche, viele von uns waren krank und hatten Durchfall.“ Als Zehnjährige wurde Zdzislawa Wlodarczyk mit ihrer Familie im August 1944 in Folge des Warschauer Ghetto-Aufstands nach Auschwitz deportiert. Fast siebzig Jahre später schildert sie den jungen Leuten an diesem eisigen Januar-Tag ihre Erinnerungen. Zustande gekommen ist die Begegnung durch das katholische Maximilian-Kolbe-Werk.
Zdzislawa Wlodarczyk erzählt: „Das erste, was mir in Erinnerung ist, als wir aus dem Zug gestiegen sind: die Männer, wahrscheinlich ein Strafkommando, die mussten hüpfen wie Frösche - nackt.“ Unter den 450.00 Häftlingen des Vernichtungslagers waren nur wenige Kinder, die meisten wurden so- fort in die Gaskammern geschickt. Bis zu 900.000 Menschen kamen dort um.
Auschwitz symbolisiert das große Loch, in dem das europäische Judentum verschwand: keine Gräber, keine Asche, nichts. Die Überlebenden kommen jedes Jahr am 27. Januar zum Gedenken an die Toten an den Ort ihres Leidens zurück, und sie wollen jungen Menschen ihre Geschichte weiter- geben. Einer der zehn Zeitzeugen, die auf Einladung des Maximilian-Kolbe-Werks durch das KZ Auschwitz führen, ist Jacek Zieliniewicz. „Das Wichtigste ist die Zukunft für euch. Für mich ist so- wieso bald Schluss“, sagt er leise, aber bestimmt, „Ihr sollt in Frieden leben, als normaler Mensch, dann hat das, was ich erzähle, einen Zweck. Es ist nicht leicht, aber ich muss es tun, es ist meine Pflicht.“
Der 85-Jährige hat erst vor wenigen Jahren wieder begonnen, Deutsch zu sprechen: für die Arbeit mit deutschen Kindern und Jugendlichen. Mit 17 Jahren wurde Jacek Zieliniewicz nach Auschwitz- Birkenau verschleppt - als Häftling Nummer 138 142. „Weglaufen oder stehen bleiben?“, habe er gedacht, als er Jahre später zum ersten Mal wieder Menschen Deutsch sprechen hörte. „Doch dann habe ich gedacht, jetzt bin ich hier der Wichtigste, und nicht die Deutschen.“
1944 hat er erlebt, wie 438.000 ungarische Juden in Güterzügen ins Vernichtungslager transportiert wurden und 320.000 von ihnen noch am Tag ihrer Ankunft vergast wurden. Zu Hause hat er ein Luftbild mit drei Zügen vom Juli 1944: „Da warten etwa 10.000 Menschen auf die Gaskammern.“ Doch damals ließ die Vernichtungsmaschinerie die Maurerkameraden kalt. „Die Transporte kamen Tag und Nacht; wir haben unsere Arbeit gemacht“, erzählt der alte Mann. Bis sie eines Abends auf den hölzernen Pritschen liegend fragten: „'Sind wir noch normal? Sind wir noch Menschen?' Wir haben gedacht, ein normaler Mensch muss doch reagieren, wenn so viele Menschen getötet werden.“
Und sie fanden ein Zeichen für ihre Menschlichkeit: die Kinder. „Da habe ich gesagt: 'Doch, wir sind noch normal, denn die Kinder tun uns leid.'„ Eines dieser Kinder ist Zdzislawa Wlodarczyk, die nun kurz an den Schienen stehen bleibt: „Ich habe den ersten Tag noch gut in Erinnerung. Meinen kleinen Koffer sehe ich noch vor mir.“ Eindrücke von Schreien, Hundegebell und grellen Lampen verfolgen sie bis heute.
Zdzislawa Wlodarczyk läuft zielstrebig zur Baracke Nummer 16: Reihen aus Holzpritschen, drei Eta- gen übereinander, kein Platz zum Aufsetzen. „Das ist meine Koje.“ Sie zeigt auf die Holzbretter rechts in der Mitte. „Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie es hier war.“ Inzwischen ist es stockdunkel. Die alte Dame zieht ihren Pelzmantel enger um sich. Es ist ihr wichtig, zu erzählen, was sie erlebt hat. Viele Überlebende seien dazu nicht mehr in der Lage, andere könnten gar nicht erst über ihre Erinnerungen sprechen. Aber Zdzislawa Wlodarczyk tut es. „Es gibt Erinnerungen, da möchte ich schreien. Da höre ich die Stimmen der Umgekommenen.

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